Wir bekommen Ersatz. Die Lücken werden ausgefüllt, und die Strohsäcke
in den Baracken sind bald belegt. Zum Teil sind es alte Leute, aber auch
fünfundzwanzig Mann junger Ersatz aus den Feldrekrutendepots werden uns
überwiesen. Sie sind fast ein Jahr jünger als wir. Kropp stößt mich an:»Hast du
die Kinder gesehen?«
Ich nicke. Wir werfen uns in die Brust, lassen uns auf dem Hof rasieren,
stecken die Hände in die Hosentaschen, sehen uns die Rekruten an und fühlen
uns als steinaltes Militär.
Katczinsky schließt sich uns an. Wir wandern durch die Pferdeställe und
kommen zu den Ersatzleuten, die gerade Gasmasken und Kaffee empfangen. Kat
fragt einen der jüngsten:»Habt wohl lange nichts Vernünftiges zu futtern
gekriegt, was?«
Der verzieht das Gesicht.»Morgens Steckrübenbrot – mittags
Steckrübengemüse, abends Steckrübenkoteletts und Steckrübensalat.«
Katczinsky pfeift fachmännisch.»Brot aus Steckrüben? Da habt ihr Glück
gehabt, sie machen es auch schon aus Sägespänen. Aber was meinst du zu
weißen Bohnen, willst du einen Schlag haben?«
Der Junge wird rot.»Verkohlen brauchst du mich nicht.«Katczinsky
antwortet nichts als:»Nimm dein Kochgeschirr.«
Wir folgen neugierig. Er führt uns zu einer Tonne neben seinem Strohsack.
Sie ist tatsächlich halb voll weißer Bohnen mit Rindfleisch. Katczinsky steht vor
ihr wie ein General und sagt:»Auge auf, Finger lang! Das ist die Parole bei den
Preußen.«
Wir sind überrascht. Ich frage:»Meine Fresse, Kat, wie kommst du denn
dazu?«
»Die Tomate war froh, als ich ihr’s abnahm. Ich habe drei Stück
Fallschirmseide dafür gegeben. Na, weiße Bohnen schmecken kalt doch
tadellos.«
Er gibt gönnerhaft dem Jungen eine Portion auf und sagt:»Wenn du das
nächstemal hier antrittst mit deinem Kochgeschirr, hast du in der linken Hand
eine Zigarre oder einen Priem. Verstanden?«
Dann wendet er sich zu uns.»Ihr kriegt natürlich so.«
Katczinsky ist nicht zu entbehren, weil er einen sechsten Sinn hat. Es gibt
überall solche Leute, aber niemand sieht ihnen von vornherein an, daß es so ist.
Jede Kompanie hat einen oder zwei davon. Katczinsky ist der gerissenste, den
ich kenne. Von Beruf ist er, glaube ich, Schuster, aber das tut nichts zur Sache,
er versteht jedes Handwerk. Es ist gut, mit ihm befreundet zu sein. Wir sind es,
Kropp und ich, auch Haie Westhus gehört halb und halb dazu. Er ist allerdings
schon mehr ausführendes Organ, denn er arbeitet unter dem Kommando Kats,
wenn eine Sache geschmissen wird, zu der man Fäuste braucht. Dafür hat er
dann seine Vorteile.
Wir kommen zum Beispiel nachts in einen völlig unbekannten Ort, ein
trübseliges Nest, dem man gleich ansieht, daß es ausgepowert ist bis auf die
Mauern. Quartier ist eine kleine, dunkle Fabrik, die erst dazu eingerichtet
worden ist. Es stehen Betten darin, vielmehr nur Bettstellen, ein paar Holzlatten,
die mit Drahtgeflecht bespannt sind. Drahtgeflecht ist hart. Eine Decke zum
Unterlegen haben wir nicht, wir brauchen unsere zum Zudecken. Die Zeltbahn
ist zu dünn.
Kat sieht sich die Sache an und sagt zu Haie Westhus:»Komm mal mit.«Sie
gehen los, in den völlig unbekannten Ort hinein. Eine halbe Stunde später sind
sie wieder da, die Arme hoch voll Stroh. Kat hat einen Pferdestall gefunden und
damit das Stroh. Wir könnten jetzt warm schlafen, wenn wir nicht noch einen so
entsetzlichen Kohldampf hätten.
Kropp fragt einen Artilleristen, der schon länger in der Gegend ist:»Gibt es
hier irgendwo eine Kantine?«Der lacht:»Hat sich was! Hier ist nichts zu holen.
Keine Brotrinde holst du hier.«»Sind denn keine Einwohner mehr da?«Er spuckt
aus.»Doch, ein paar. Aber die lungern selbst um jeden Küchenkessel herum und
betteln.«Das ist eine böse Sache. Dann müssen wir eben den Schmachtriemen
enger schnallen und bis morgen warten, wenn die Furage kommt. Ich sehe
jedoch, wie Kat seine Mütze aufsetzt, und frage:»Wo willst du hin, Kat?«
»Mal etwas die Lage spannen.«Er schlendert hinaus. Der Artillerist grinst
höhnisch.»Spann man! Verheb dich nicht dabei.«
Enttäuscht legen wir uns hin und überlegen, ob wir die eisernen Portionen
anknabbern sollen. Aber es ist uns zu riskant. So versuchen wir ein Auge voll
Schlaf zu nehmen.
Kropp bricht eine Zigarette durch und gibt mir die Hälfte. Tjaden erzählt
von seinem Nationalgericht, großen Bohnen mit Speck. Er verdammt die
Zubereitung ohne Bohnenkraut. Vor allem aber soll man alles durcheinander
kochen, um Gottes willen nicht die Kartoffeln, die Bohnen und den Speck
getrennt. Jemand knurrte, daß er Tjaden zu Bohnenkraut verarbeiten würde,
wenn er nicht sofort still wäre. Darauf wird es ruhig in dem großen Raum. Nur
ein paar Kerzen flackern in den Flaschenhälsen, und ab und zu spuckt der
Artillerist aus.
Wir duseln ein bißchen, als die Tür aufgeht und Kat erscheint. Ich glaube
zu träumen: er hat zwei Brote unter dem Arm und in der Hand einen blutigen
Sandsack mit Pferdefleisch.
Dem Artilleristen fällt die Pfeife aus dem Munde. Er betastet das
Brot.»Tatsächlich, richtiges Brot, und noch warm.«
Kat redet nicht weiter darüber. Er hat eben Brot, das andere ist egal. Ich bin
überzeugt, wenn man ihn in der Wüste aussetzte, würde er in einer Stunde ein
Abendessen aus Datteln, Braten und Wein zusammenfinden. Er sagt kurz zu
Haie:»Hack Holz.«40 Dann holt er eine Bratpfanne unter seinem Rock hervor
und zieht eine Handvoll Salz und sogar eine Scheibe Fett aus der Tasche; – er
hat an alles gedacht. Haie macht auf dem Fußboden ein Feuer. Es prasselt durch
die kahle Fabrikhalle. Wir klettern aus den Betten. Der Artillerist schwankt. Er
überlegt, ob er loben soll, damit vielleicht auch etwas für ihn abfällt. Aber
Katczinsky sieht ihn gar nicht, so sehr ist er Luft für ihn. Da zieht er fluchend ab.
Kat kennt die Art, Pferdefleisch weichzubraten. Es darf nicht gleich in die
Pfanne, dann wird es hart. Vorher muß es in wenig Wasser vorgekocht werden.
Wir hocken uns mit unsern Messern im Kreis und schlagen uns den Magen voll.
Das ist Kat. Wenn in einem Jahr in einer Gegend nur eine Stunde lang
etwas Eßbares aufzutreiben wäre, so würde er genau in dieser Stunde, wie von
einer Erleuchtung getrieben, seine Mütze aufsetzen, hinausgehen, geradewegs
wie nach einem Kompaß darauf zu, und es finden. Er findet alles; – wenn es kalt
ist, kleine Öfen und Holz, Heu und Stroh, Tische, Stühle – vor allem aber
Fressen. Es ist rätselhaft, man sollte glauben, er zaubere es aus der Luft. Seine
Glanzleistung waren vier Dosen Hummer. Allerdings hätten wir lieber Schmalz
dafür gehabt.
Wir haben uns auf der Sonnenseite der Baracken hingehauen. Er riecht nach
Teer, Sommer und Schweißfüßen.
Kat sitzt neben mir, denn er unterhält sich gern. Wir haben heute mittag
eine Stunde Ehrenbezeigungen geübt, weil Tjaden einen Major nachlässig
gegrüßt hat. Das will Kat nicht aus dem Kopf. Er äußert:»Paß auf, wir verlieren
den Krieg, weil wir zu gut grüßen können.«Kropp storcht näher, barfuß, die
Hosen aufgekrempelt. Er legt seine gewaschenen Socken zum Trocknen aufs
Gras. Kat sieht in den Himmel, läßt einen kräftigen Laut hören und sagt
versonnen dazu:»Jedes Böhnchen gibt ein Tönchen.«
Die beiden fangen an zu disputieren. Gleichzeitig wetten sie um eine
Flasche Bier auf einen Fliegerkampf, der sich über uns abspielt.
Kat läßt sich nicht von seiner Meinung abbringen, die er als altes
Frontschwein wieder in Reimen von sich gibt:»Gleiche Löhnung, gleiches
Essen, war’ der Krieg schon längst vergessen.«- Kropp dagegen ist ein Denker.
Er schlägt vor, eine Kriegserklärung solle eine Art Volksfest werden mit
Eintrittskarten und Musik wie bei Stiergefechten. Dann müßten in der Arena die
Minister und Generäle der beiden Länder in Badehosen, mit Knüppeln
bewaffnet, aufeinander losgehen.
Wer übrigbliebe, dessen Land hätte gesiegt. Das wäre einfacher und besser
als hier, wo die falschen Leute sich bekämpfen. Der Vorschlag gefällt. Dann
gleitet das Gespräch auf den Kasernendrill über.
Mir fällt dabei ein Bild ein. Glühender Mittag auf dem Kasernenhof. Die
Hitze steht über dem Platz. Die Kasernen wirken wie ausgestorben. Alles schläft.
Man hört nur Trommler üben, irgendwo haben sie sich aufgestellt und üben,
ungeschickt, eintönig, stumpfsinnig. Welch ein Dreiklang: Mittagshitze,
Kasernenhof und Trommelüben! Die Fenster der Kaserne sind leer und dunkel.
Aus einigen hängen trocknende Drillichhosen. Man sieht sehnsüchtig hinüber.
Die Stuben sind kühl. – Oh, ihr dunklen, muffigen Korporalschaftsstuben mit
den eisernen Bettgestellen, den gewürfelten Betten, den Spindschränken und den
Schemeln davor! Selbst ihr könnt das Ziel von Wünschen werden; hier draußen
seid ihr sogar ein sagenhafter Abglanz von Heimat, ihr Gelasse voll Dunst vonabgestandenen Speisen, Schlaf, Rauch und Kleidern!
Katczinsky beschreibt sie mit Farbenpracht und großer Bewegung. Was
würden wir geben, wenn wir zu ihnen zurück könnten! Denn weiter wagen sich
unsre Gedanken schon gar nicht – Ihr Instruktionsstunden in der Morgenfrühe
-»Worin zerfällt das Gewehr 98?«- ihr Turnstunden am Nachmittag
-»Klavierspieler vortreten. Rechts heraus. Meldet euch in der Küche zum
Kartoffelschälen«- Wir schwelgen in Erinnerungen. Kropp lacht plötzlich und
sagt:»In Löhne umsteigen.«
Das war das liebste Spiel unseres Korporals. Löhne ist ein
Umsteigebahnhof. Damit unsre Urlauber sich dort nicht verlaufen sollten, übte
Himmelstoß das Umsteigen mit uns in der Kasernenstube. Wir sollten lernen,
daß man in Löhne durch eine Unterführung zum Anschlußzug gelangte. Die
Betten stellten die Unterführung dar, und jeder baute sich links davon auf. Dann
kam das Kommando:»In Löhne umsteigen!«, und wie der Blitz kroch alles unter
den Betten hindurch auf die andere Seite. Das haben wir stundenlang geübt. –
Inzwischen ist das deutsche Flugzeug abgeschossen worden. Wie ein Komet
stürzt es in einer Rauchfahne abwärts. Kropp hat dadurch eine Flasche Bier
verloren und zählt mißmutig sein Geld.
»Der Himmelstoß ist als Briefträger sicher ein bescheidener Mann«, sagte
ich, nachdem sich Alberts Enttäuschung gelegt hat,»wie mag es nur kommen,
daß er als Unteroffizier ein solcher Schinder ist?«
Die Frage macht Kropp wieder mobil.»Das ist nicht nur Himmelstoß allein,
das sind sehr viele. Sowie sie Tressen oder einen Säbel haben, werden sie andere
Menschen, als ob sie Beton gefressen hätten.«
»Das macht die Uniform«, vermute ich.
»So ungefähr«, sagt Kat und setzt sich zu einer großen Rede zurecht,»aber
der Grund liegt anderswo. Sieh mal, wenn du einen Hund zum Kartoffelfressen
abrichtest und du legst ihm dann nachher ein Stück Fleisch hin, so wird er
trotzdem danach schnappen, weil das in seiner Natur liegt. Und wenn du einem
Menschen ein Stückchen Macht gibst, dann geht es ihm ebenso; er schnappt
danach. Das kommt ganz von selber, denn der Mensch ist an und für sich
zunächst einmal ein Biest, und dann erst ist vielleicht noch, wie bei einer
Schmalzstulle, etwas Anständigkeit draufgeschmiert. Der Kommiß besteht nun
darin, daß immer einer über den andern Macht hat. Das Schlimme ist nur, daß
jeder viel zuviel Macht hat; ein Unteroffizier kann einen Gemeinen, ein Leutnant
einen Unteroffizier, ein Hauptmann einen Leutnant derartig zwiebeln, daß er
verrückt wird. Und weil er das weiß, deshalb gewöhnt er es sich gleich schon
etwas an. Nimm nur die einfachste Sache: wir kommen vom Exerzierplatz und
sind hundemüde. Da wird befohlen: Singen! Na, es wird ein schlapper Gesang,
denn jeder ist froh, daß er sein Gewehr noch schleppen kann. Und schon macht
die Kompanie kehrt und muß eine Stunde strafexerzieren. Beim Rückmarsch
heißt es wieder: ›Singen!‹, und jetzt wird gesungen. Was hat das Ganze für einen
Zweck? Der Kompanieführer hat seinen Kopf durchgesetzt, weil er die Macht
dazu hat. Niemand wird ihn tadeln, im Gegenteil, er gilt als stramm. Dabei ist so
etwas nur eine Kleinigkeit, es gibt doch noch ganz andere Sachen, womit sie
einen schinden. Nun frage ich euch: Mag der Mann in Zivil sein, was er will, in
welchem Beruf kann er sich so etwas leisten, ohne daß ihm die Schnauze
eingeschlagen wird? Das kann er nur beim Kommiß! Seht ihr, und das steigt
jedem zu Kopf! Und es steigt ihm umso mehr zu Kopf, je weniger er als Zivilist
zu sagen hatte.«
»Es heißt eben, Disziplin muß sein -«, meint Kropp nachlässig.
»Gründe«, knurrt Kat,»haben sie immer. Mag ja auch sein. Aber es darf
keine Schikane werden. Und mach du das mal einem Schlosser oder Knecht oder
Arbeiter klar, erkläre das mal einem Muskoten, und das sind doch die meisten
hier; der sieht nur, daß er geschunden wird und ins Feld kommt, und er weiß
ganz genau, was notwendig ist und was nicht. Ich sage euch, daß der einfache
Soldat hier vorn so aushält, das ist allerhand! Allerhand ist das!«Jeder gibt es zu,
denn jeder weiß, daß nur im Schützengraben der Drill aufhört, daß er aber
wenige Kilometer hinter der Front schon wieder beginnt, und sei es mit dem
größten Unsinn, mit Grüßen und Parademarsch. Denn es ist eisernes Gesetz: Der
Soldat muß auf jeden Fall beschäftigt werden.
Doch nun erscheint Tjaden, mit roten Flecken im Gesicht. Er ist so
aufgeregt, daß er stottert. Strahlend buchstabiert er:»Himmelstoß ist unterwegs
nach hier. Er kommt an die Front.«
Tjaden hat eine Hauptwut auf Himmelstoß, weil der ihn im Barackenlager
auf seine Weise erzogen hat. Tjaden ist Bettnässer, nachts beim Schlafen passiert
es ihm eben. Himmelstoß behauptet steif und fest, es sei nur Faulheit, und er
fand ein seiner würdiges Mittel, um Tjaden zu heilen. Er trieb in der
benachbarten Baracke einen zweiten Bettnässer auf, der Kindervater hieß. Den
quartierte er mit Tjaden zusammen. In den Baracken standen die typischen
Bettgestelle, zwei Betten übereinander, die Bettböden aus Draht. Himmelstoß
legte beide nun so zusammen, daß der eine das obere, der andere das darunter
befindliche Bett bekam. Der untere war dadurch natürlich scheußlich daran.
Dafür wurde am nächsten Abend gewechselt, der untere kam nach oben, damit
er Vergeltung hatte. Das war Himmelstoß’ Selbsterziehung.
Der Einfall war gemein, aber in der Idee gut. Leider nutzte er nichts, weil
die Voraussetzung nicht stimmte: es war keine Faulheit bei den beiden. Das
konnte jeder merken, der ihre fahle Haut ansah. Die Sache endete damit, daß
immer einer von beiden auf dem Fußboden schlief. Er hätte sich leicht dabei
erkälten können. – Haie hat sich inzwischen auch neben uns niedergelassen. Er
blinzelt mir zu und reibt andächtig seine Tatze. Wir haben zusammen den
schönsten Tag unseres Kommißlebens erlebt. Das war der Abend, bevor wir ins
Feld fuhren. Wir waren einem der Regimenter mit der hohen Hausnummer
zugeteilt, vorher aber zur Einkleidung in die Garnison zurückbefördert worden,
allerdings nicht zum Rekrutendepot, sondern in eine andere Kaserne. Am
nächsten Morgen früh sollten wir abfahren. Abends machten wir uns auf, um mit
Himmelstoß abzurechnen. Das hatten wir uns seit Wochen geschworen. Kropp
war sogar so weit gegangen, daß er sich vorgenommen hatte, im Frieden das
Postfach einzuschlagen, um später, wenn Himmelstoß wieder Briefträger war,
sein Vorgesetzter zu werden. Er schwelgte in Bildern, wie er ihn schleifen
würde. Denn das war es gerade, weshalb er uns nicht kleinkriegen konnte; wir
rechneten stets damit, daß wir ihn schon einmal schnappen würden, spätestens
am Kriegsende.Einstweilen wollten wir ihn gründlich verhauen. Was konnte uns schon
passieren, wenn er uns nicht erkannte und wir ohnehin morgen früh abfuhren.
Wir wußten, in welcher Kneipe er jeden Abend saß. Wenn er von dort zur
Kaserne ging, mußte er durch eine dunkle, unbebaute Straße. Dort lauerten wir
ihm hinter einem Steinhaufen auf. Ich hatte einen Bettüberzug bei mir. Wir
zitterten vor Erwartung, ob er auch allein sein würde. Endlich hörten wir seinen
Schritt, den kannten wir genau, wir hatten ihn oft genug morgens gehört, wenn
die Tür aufflog und»Aufstehen!«gebrüllt wurde.»Allein?«flüsterte Kropp.
»Allein!«- Ich schlich mit Tjaden um den Steinhaufen herum.
Da blitzte schon sein Koppelschloß. Himmelstoß schien etwas angeheitert
zu sein; er sang.
Ahnungslos ging er vorüber.
Wir faßten das Bettuch, machten einen leisen Satz, stülpten es ihm von
hinten über den Kopf, rissen es nach unten, so daß er wie in einem weißen Sack
dastand und die Arme nicht heben konnte. Das Singen erstarb. Im nächsten
Moment war Haie Westhus heran. Mit ausgebreiteten Armen warf er uns zurück,
um nur ja der erste zu sein. Er stellte sich genußreich in Positur, hob den Arm
wie einen Signalmast, die Hand wie eine Kohlenschaufel und knallte einen
Schlag auf den weißen Sack, der einen Ochsen hätte töten können.
Himmelstoß überschlug sich, landete fünf Meter weiter und fing an zu
brüllen. Auch dafür hatten wir gesorgt, denn wir hatten ein Kissen bei uns. Haie
hockte sich hin, legte das Kissen auf die Knie, packte Himmelstoß da, wo der
Kopf war, und drückte ihn auf das Kissen. Sofort wurde er im Ton gedämpfter.
Haie ließ ihn ab und zu mal Luft schnappen, dann kam aus dem Gurgeln ein
prachtvoller heller Schrei, der gleich wieder zart wurde. Tjaden knöpfte jetzt
Himmelstoß die Hosenträger ab und zog ihm die Hose herunter. Die
Klopfpeitsche hielt er dabei mit den Zähnen fest. Dann erhob er sich und begann
sich zu bewegen.
Es war ein wunderbares Bild: Himmelstoß auf der Erde, über ihn gebeugt,
seinen Kopf auf den Knien, Haie mit teuflisch grinsendem Gesicht und vor Lust
offenem Maul, dann die zuckende, gestreifte Unterhose mit den X-Beinen, die in
der heruntergeschobenen Hose bei jedem Schlag die originellsten Bewegungen
machten, und darüber wie ein Holzhacker der unermüdliche Tjaden. Wir mußten
ihn schließlich geradezu wegreißen, um auch noch an die Reihe zukommen.
Endlich stellte Haie Himmelstoß wieder auf die Beine und gab als Schluß
eine Privatvorstellung. Er schien Sterne pflücken zu wollen, so holte seine
Rechte aus zu einer Backpfeife. Himmelstoß kippte um. Haie hob ihn wieder auf
stellte ihn sich parat und langte ihm ein zweites, erstklassig gezieltes Ding mit
der linken Hand. Himmelstoß heulte und flüchtete auf allen vieren. Sein
gestreifter Briefträgerhintern leuchtete im Mond.
Wir verschwanden im Galopp.
Haie sah sich noch einmal um und sagte ingrimmig, gesättigt und etwas
rätselhaft:»Rache ist Blutwurst.«- Eigentlich konnte Himmelstoß froh sein; denn
sein Wort, daß immer einer den andern erziehen müsse, hatte an ihm selbst
Früchte getragen. Wir waren gelehrige Schüler seiner Methoden geworden.
Er hat nie herausgekriegt, wem er die Sache verdankte.
Immerhin gewann er dabei ein Bettuch; denn als wir einige Stunden später
noch einmal nachsahen, war es nicht mehr zu finden.
Dieser Abend war der Grund, daß wir am nächsten Morgen einigermaßen
gefaßt abfuhren. Ein wehender Vollbart bezeichnete uns deshalb ganz gerührt als
Heldenjugend.